Am Anfang


Willkommen an einem weiteren Brunnen in einer überhydrierten Wüste des Geistes!
Gewiss mag es sinnlos erscheinen, hier einen mehr oder weniger sinnvollen Beitrag
leisten zu wollen angesichts dieses Wustes an Informationen, Tipps und pseudophilosophischen sowie -literarischen Kommentaren zum Leben.
Aber was soll`s? Man kann es lesen oder kann es lassen, im Nachhinein ärgert man sich vielleicht über die vergeudete Zeit, oder man rettet sein Leben, vielleicht verwirre ich mehr, vielleicht bin ich die Nadel im Heuhaufen der letzten Strohhalme, wer kann das schon wissen...nichtsdestotrotz viel Spass und Inspiration beim Lesen.

Samstag, 9. Oktober 2010

Realität

Realität...wer kennt nicht mindestens einen selbsternannten "Realisten" in seinem Kreis? Welchen Anpruch haben solche Menschen auf den sprichwörtlichen Durchblick?
Wer kann schon wirklich behaupten, von der Realität zu wissen, dessen, was uns immer einen Schritt voraus, sich unserem Griff entzieht?
Realisten sind allerhöchstens Menschen, die sich ihrer selbst konstruierten Wirklichkeit voll bewusst sind, doch das meint in keinster Weise das, was von Philosophen und Geistlichen gesucht und beschworen wird und von keinem normalen Menschen erreicht werden kann.
Diese Gesellschaft fordert von uns immer volle Verfügbarkeit, Kompetenz und Effizienz und zwingt jeden einzelnen buchstäblich zu einer unreflektierten Wirklichkeit, zu einer Konstruktion aufbauend auf seiner indiviuellen Erfahrung, Erziehung und Sicht auf das Leben.
Doch jede individuelle Wirklichkeit kann im Endeffekt keine sein, weil sie dynamisch ist, d.h. zum Beispiel unser Umgang mit gewissen Umständen, die uns gestern noch unlogisch und unannehmbar schienen, heute fester Bestandteil unserer Persönlichkeit sind, morgen jedoch schon wieder abgelehnt werden.
Wir können auch deswegen nicht von Realität sprechen, weil wir in unserer eigenen Welt das Maß aller Dinge darstellen, darin jedoch jeglichen Bezug zur Wirklichkeit des Universums verlieren.
Mathematik bezeichnen wir als Universalsprache ebenjenes Kosmos, doch blenden wir aus, dass auch Zahlen und Rechenoperationen menschlichen Ursprungs sind, eine Interpretation, ein globales humanoides Esperanto, wenn man so will, doch wer weiß schon, in welchen Kategorien die Allmacht "denkt", diese unsere Welt schuf...
Die menschliche Kategorie jedenfalls ist immer eine relativistische, denn wir müssen auf etwas Bezug nehmen um wenigstens eine (so paradox es klingen mag) Illusion von Realität herzustellen, denn autonom und autark kann ein Mensch nicht existieren, an sich ein offensichtlicher Indikator für die Lächerlichkeit unseres Realitätsbegriffs... Unsere ganz persönliche Wahrheit ist nichts weiter als die Summe unserer Erfahrungen, was nichts anderes ist als die Interpretation von Erlebnissen, welche wiederum von unserer Persönlicheit abhängen, die aus unseren Erfahrungen resultiert usw.
Erfahrungen sind Erfahrungen sind Erfahrungen sind "Realität".
Was uns von der Wirklichkeit trennt ist unser Ego, das nach Vorteil, Unversehrtheit und Überlegenheit strebt und uns demnach einem ungezügelten Ehrgeiz ausliefert, sich gegen die Welt stellt und schlussendlich völlig erstarrt oder zerrieben wird. Das Überangebot an Psychopharmaka, Therapeuten und Lebensratgebern sei hier der Indikator für das allgemeine, gestörte Verhältnis zur Wirklichkeit.
Der Buddhismus lehrt etwas, was er die "acht Versenkungsstufen",
das achte Pfadglied nennt, eine Möglichkeit aus dem (Teufels-)Kreis des Egos auszubrechen und Realtität wenigstens in Bruchteilen zu erfahren, doch auch dies ist im Endeffekt menschlich behaftet. 
Um absolute Realität zu erfahren, müsste man alles menschliche ablegen, seiner eigenen Wirklichkeit, seiner Persönlichkeit und damit seinem bisherigen Leben abschwören, allem, von dem wir glauben, dass es uns zu dem macht, was wir sind. Momente unreflektierter Hingabe und Liebe geben uns möglicherweise einen kleinen Einblick, eine Ahnung von absoluter Wirklichkeit, soll heißen, 
je weniger wir uns unserer Handlungen und unseres Ichs bewusst sind, umso näher kommen wir dem Leben und damit der Realität oder nach Wilhelm Busch:
"Des Geistes Kraft allein, schneidet in die Seele ein."
Das Problem, was sich beim Verfassen dieses Textes zwangsläufig offenbart, ist das Dilemma nach dessen Wahrheitsanspruch, denn auch dies ist eine Sammlung von Erfahrungen und Gedanken und damit genauso Teil einer Persönlichkeit wie jeder andere Anspruch auf Wirklichkeit.
Somit dreht sich jeder, der sich damit auseinandersetzt, früher oder später im Kreis, doch er Schritt in die richtige Richtung ist getan, wenn man sich selbst nicht mehr als Maßstab und absolut betrachtet.
Jeder formuliert seine eigene Realität, deren Summe wird deswegen trotzdem nicht realer, doch seine Mitmenschen nicht mehr allein durch den Filter seines Egos zu betrachten, ihn zu akzeptieren als eine Offenbarung kosmischer Realität und sich dessen hinzugeben, lässt einen vielleicht irgendwann Teil haben an ebenjener...zum Abschluss noch ein Zitat aus dem Zenbuddhismus:
"Wahrheit ist wie der Wind, sobald man ihn ergreifen kann, ist er nicht länger Wind."